6. Interview – Erzähl mir deine (Schul-) Geschichte
Das Interview wurde geführt mit
Gudrun Rau (geb. Hagen)
Gundula Wollanky (geb. Zimmermann) (v.l.n.r.)
Datum des Interviews: 12. Jan. 2021
Schulzeit: 1955 – 1963 | 1961 – 1969
Anfang der 60 Jahre waren die Kinder sowie die Eltern schockiert über die Teilung Berlins und den Mauerbau. Nachdem sich die Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft „LPG“ die Ländereien sowie Tiere der familiengeführten Kleinbauernbetriebe einverleibte, mussten die Kinder nach der Schule nicht mehr so oft auf dem Feld helfen. Die Schüler berichten von einer behüteten und schönen Kindheit und fühlten sich von der Schule gut für das spätere Arbeitsleben vorbereitet.
So sah der Stundenbeginn aus
Zum Stundenbeginn standen die Schüler an ihren Platz und konnten sich nach dem „Guten Morgen“ des Lehrers setzen, auch wenn sich Schüler meldeten und eine Antwort zu geben, mussten sie beim Antworten aufstehen. Zu der Zeit war es auch normal, wenn Lehrer mit dem Lineal oder Zeigestock auf den Tisch knallten, um für Ruhe zu sorgen.
Schulbücher und Unterrichtsmaterialien
Zu Beginn des Schuljahres konnten die Kinder ihre Schulbücher des neuen Schuljahres in Empfang nehmen, zumeist waren diese über lange Jahre in Gebrauch. Geschrieben wurde immer mit einem Füllfederhalter, aber ohne Tintenpatronen, sondern mit einem Kolben zum Auffüllen. Etwas besonders war damals schon der Pelikan-Füller aus dem „Westen“.
Unterrichtsfächer zu dieser Zeit waren…
… Deutsch (aufgeteilt in Grammatik, Ausdruck, Rechtschreibung und Lesen), Mathe, Biologie, Erdkunde, Zeichnen, Musik, Schulgarten, Sport, ESP (Einführung in die sozialistische Produktion), Physik und Russisch ab der 5. Klasse, Englisch wurde ab der 7. Klasse in Elsholz unterrichtet, außerdem UTP (Unterrichtstag in der Produktion) einmal pro Woche in den Sommermonaten, dort wurde die Theorie in der Schule unterrichtet, Praxis war dann in einem Betrieb.
1961: Mauerbau und Teilung Berlins
Der Mauerbau bzw. die Teilung Berlins im Sommer 1961 wurde in der Schule nicht thematisiert – bei jedem Schüler zu Hause lieferte das Ereignis allerdings viel Gesprächsstoff. Die Eltern waren teilweise sehr angespannt und verständnislos für diese politische Entscheidung.
Schöne und entspannte Schulzeit
Im Nachhinein betrachtet, wurde die Schulzeit – in Metaphern gesprochen – als schön, leicht und entspannt wahrgenommen. Als eine Spielwiese, auf der man sich ausprobieren konnte und gut auf die Zeit nach der Schule vorbereitet wurde (Z.B. durch den UTP-Unterricht). Den Schülern wurden große Freiräume gewährt, der erst einmal grenzenlos schienen und in denen sie sich gut aufgehoben fühlten.
Inhalt des vollständigen 6. Interviews (Länge 53:12 min)
- (01:05) „Abenteuer als Fahrschüler“ – mit einem alten Schulbus über die schlechten Landstraßen zur Schule, verspätete sich der Bus um 30 Minuten, konnten die Schuler nach Hause gehen
- (04:15) Mitte der 50er gab es schon relativ große Schultüten, Einschulungsfeiern wurden zu Hause durchgeführt, in der Schule gabs keine Feierlichkeiten
- (05:52) 1955 wurden in Wittbrietzen nur 5 Kinder eingeschult, Fräulein Rademacher war die Lehrerin der Einschulungsklasse
- (06:42) Zu Beginn des Schuljahres konnten die Kinder ihre Schulbücher des neuen Schuljahres in Empfang nehmen, zumeist waren diese über lange Jahre in Gebrauch
- (08:15) Im Klassenraum hing ein Bild von Walter Ulbricht, das Schulmobiliar war schon recht alt, die Schultische waren zusammengeschraubt (die Rückenlehne war der Tisch des dahinter Sitzenden
- (08:37) Geschrieben wurde immer mit einem Füllfederhalter (aber noch ohne Patronen), besonders war damals schon der Pelikan-Füller aus dem „Westen“
- (10:33) Bestenliste der Schüler hing an der Wand als „Motivationshilfe“, in einer Wettbewerbstabelle wurde der Durchschnitt der Noten berechnet und die besten Schüler standen ganz oben
- (11:25) es gab einen Diaprojektor, Sport wurde in der oberen Etage vom zweiten Schulhaus gemacht, der Springbock musste von den Schülern zum Sportunterricht über das Treppenhaus hochgetragen werden
- (12:22) Den Wittbrietzener Sportplatz gab es zu der Zeit noch nicht, aber auf einem „Feld“ vor der jetzigen Agricola-Betrieb (Kartoffellagerhaus) konnten die Schüler in den warmen Monaten Sport treiben, das Reck war immer aufgebaut und stand auf dem Schulhof
- (14:06) Es gab Landkarten für den Geografieunterricht, Atlanten gab es noch nicht
- (15:16) Der Schulhof war zwar nicht groß, aber trotzdem beliebter Mittelpunkt der Schule, neben dem Fahnenmast gab es in U-Form eine Bank zum Hinsetzen, Maulbeerbäume umrahmten den Schulhof
- (16:36) Die Toiletten haben fürchterlich gerochen, schlimmer als das Plumpsklo zu Hause
- (17:40) Schulessen gab es noch nicht, jeder Schüler hatte seine Brottasche, die Stullen (Butterbrot mit Wurst belegt meist aus eigener Schlachtung) wurde unter den Kindern oft getauscht, Mittagessen gab es nach dem Unterricht zu Hause, später wurde auch Tee in der Schule ausgeschenkt
- (20:35) Der Biologie-Lehrer begeisterte die Schüler mit seinem Unterricht und holte sie auch zu sich nach Hause, um ihnen seine Tiere (Vögel, Hase, Marder, Meerschweinchen) zu zeigen, außerdem gab es einen Schulgarten gegenüber vom Friedhof gelegen
- (22:30) Zu der Zeit war es normal, wenn Lehrer mit dem Lineal oder Zeigestock auf den Tisch knallten
- (23:35) Zum Stundenbeginn standen die Schüler an ihren Platz und konnten sich nach dem „Guten Morgen“ des Lehrers setzen, auch wenn sich Schüler meldeten und eine Antwort zu geben, mussten sie beim Antworten aufstehen
- (24:50) Unterrichtsfächer waren Deutsch (aufgeteilt in Grammatik, Ausdruck, Rechtschreibung und Lesen), Mathe, Biologie, Erdkunde, Zeichnen, Musik, Schulgarten, Sport, ESP (Einführung in die sozialistische Produktion), Physik und Russisch ab der 5. Klasse, Englisch wurde ab der 7. Klasse in Elsholz unterrichtet, außerdem UTP (Unterrichtstag in der Produktion) einmal pro Woche in den Sommermonaten, dort wurde die Theorie in der Schule unterrichtet, Praxis war dann in einem Betrieb
- (27:58) von der Russischlehrerin wurden Brieffreundschaften angeboten
- (29:35) Nach der Schule haben die Kinder viel draußen gespielt, es wurde Zweifelderball gespielt, Gummihopse, Meter oder im Winter Schlittschuh fahren auf dem Kiesschacht, Anfang der 60er mussten die Kinder noch manchmal in der Landwirtschaft helfen, in den darauffolgenden Jahren wurde es immer weniger
- (35:32) Zum Erntefest übten die Lehrer zusammen mit ihren Schülern den Tanz mit den Bändern, außerdem wurde Theater gespielt und Kostüme gebastelt, die Theatervorführung fand in der Gaststätte statt und war das Highlight des Jahres, Zum Ende der 60er Jahre nahm dann die Bereitschaft der Lehrer ab, außerschulisch etwas mit den Schülern zu unternehmen
- (38:45) Der Englisch-Unterricht war fakultativ, es gab aber keine Brieffreundschaften zu englischsprachigen Ländern
- (29:58) Der Mauerbau bzw. die Teilung Berlins 1961 wurde in der Schule nicht thematisiert – zu Hause war es aber schon ein Thema, die Eltern waren teilweise sehr angespannt
- (41:52) Im Nachhinein betrachtet, wird Schulzeit als schön, leicht und entspannt wahrgenommen, als eine Spielwiese auf der man sich ausprobieren konnte und gut auf die Zeit nach der Schule vorbereitet wurde. Den Schülern wurde ein großer Freiraum gegeben, der erst mal grenzenlos schien und in dem sie sich gut aufgehoben fühlten
- (46:28) Auch wenn Schüler nicht Pioniere und später nicht in der FDJ waren und keine Jugendweihe machen wollten, versuchten die Lehrer auf eine nicht aufdringliche Art, die Eltern und Kinder umzustimmen. Meist blieb es bei einem einmaligen Gespräch. Mitte der 60er Jahre hatten die Jugendlichen noch keinen beruflichen Nachteil zu erwarten, wenn sie sich für eine Konfirmation entschieden und kein Mitglied einer sozialistischen Jugendorganisation waren. Zwischen den Schülern war es egal, ob man sich für eine Konfirmation oder Jugendweihe entschied, es gab keine Anfeindungen untereinander
Eine Zeugnisbeurteilung von Gudrun Rau – interessant sind die Sätze über die Nichtteilname an der Jugendweihe sowie das Ausschließen aus dem Kollegtiv und das Finden des Weges in die sozialistische Gemeinschaft
Fragekatalog – Folgende Fragen wurden gestellt
- Wie heißt du und wann bist du in Wittbrietzen zur Schule gegangen?
- Was sind die ersten Erinnerungen an deine Schulzeit?
- Wie groß war eure Klasse? Welches Schreib- und Schulmaterial hattet ihr zur Verfügung und an welche Anschauungsmaterialien und technischaen Geräte erinnerst du dich?
- Welche Erinnerungen hast du an das Schulgebäude, seine innere Ausstattung und den Schulhof? Was hing an den Wänden?
- An welche Lehrer erinnerst du dich und warum? Wie erlebtest du das Verhältnis zwischen Lehrer und Schülern?
- Wie sah dein weiterer Tagesablauf nach der Schule aus und in welcher Weise haben deine Eltern deine schulische Entwicklung begleitet?
- Welchen Stellenwert hatte für dich die kirchlichen Parallelangebote Christenlehre und Junge Gemeinde?
- Mit welchem Bild, welcher Methapher würdest du deine Schulzeit in Wittbrietzen beschreiben wollen?
- Welche besonderen Umstände in der Familie, im Dorf und in der Gesellschaft prägten eure Schulzeit? Welchen Einfluss hatte die Politik auf deinen Schulalltag?
- Gibt es sonstige besondere Erlebnisse oder Konflikte, die du mit deiner Schulzeit / Freizeit verbindest?
- Hast du den Eindruck, eine gute und ausreichende Schulbildung genossen zu haben?
Das ganze Interview gibt es im Archiv
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