Station 1: Milchbank

Buchholzer Str. 36, Hof Andre Fechner

Für den sehr zentral gelegenen Vorgarten des ehemaligen Bauernhofes Buchholzer Straße 36 entwickelte sich sehr schnell die Idee, hier einen Nachbau der früher ortstypischen Milchbänke zu platzieren und den optisch störenden Stromverteiler mit dem Motiv eines damaligen Milchkutschers zu versehen. Außerdem drohte die bisherige Bepflanzung immer mehr, von Dornengestrüpp überwuchert zu werden. So war auch in dieser Hinsicht Handlungsbedarf angesagt.

(erbaut: Oktober 2024)

Was waren Milchbänke?

Jahrhunderte lang haben Bauern ihre Milch weitgehend zur familiären Selbstversorgung benutzt und nur etwaige Überschüsse individuell vermarktet. Der finanzielle Gewinn dabei war eher bescheiden. Dies änderte sich während der Industrialisierung mit der Erfindung der Zentrifuge und dem allmählichen Entstehen von genossenschaftlich betriebenen Molkereien. In Wittbrietzen entstand eine solche bereits 1895. Es war die erste Molkerei im damaligen Landkreis Zauch-Belzig, in etwa dem heutigen Kreis Potsdam-Mittelmark entsprechend.

Die Molkerei stand linker Hand des Weges nach Rieben, vor der ehemaligen Windmühle. Inzwischen wurde die Molkerei zu einem Wohnhaus umfunktioniert, der Schornstein abgerissen. (Foto um 1900)

Nun konnten die Bauern einen Großteil ihrer Milch an die Molkereien verkaufen. Dies führte zwangsläufig zu einer Vergrößerung ihrer Kuhbestände, zumal vor dem Hintergrund einer massiv wachsenden städtischen Bevölkerung. Die in Milchkannen aufbewahrte Milch wurde nicht individuell zur Molkerei gebracht, sondern am Morgen auf der vor dem Hof stehenden Milchbank abgestellt. Ein spezieller Milchkutscher holte reihum mit seinem Pferdegespann alle Milchkannen ab und brachte sie zur Molkerei. Auch aus umliegenden Dörfern wurde die Milch nach Wittbrietzen in die Molkerei gefahren. Ein ehemaliger Einwohner und Landwirt erzählte dazu:

„Noch nach dem Krieg musste im Winter, v.a. bei viel Schneefall, jedes Haus
eine Person abstellen, die für den Milchkutscher den langen Weg nach
Dobbrikow (7km) frei schippen musste.“

In historischer Hinsicht waren Milchbänke und Milchkutscher nur von 1895 bis in die 1960er Jahre von Relevanz. Mit der Gründung der durch die SED erzwungenen Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften (LPG) verließen nach und nach alle Kühe die einst privaten Bauernhöfe, um jetzt in großen zentralen Stallkomplexen gehalten zu werden. Den Milchbänken kam immer auch eine gesellige und gemeinschaftsstiftende Rolle zu, da sich auf und bei diesen insbesondere die Jugend des Dorfes am Abend versammelte.

Eine drollige Anekdote anbei: In den 1960er Jahren lieh sich ein junger Wittbrietzener Bursche eines der Pferde des Milchkutschers, um beim pfingstlichen Hahnreiten möglichst gut auftrumpfen zu können. Wie alle jungen Männer wollte er den begehrten Preis gewinnen und sicher auch ‚bella figura‘ bei den Dorfschönen machen. Doch sein Plan scheiterte erbärmlich. Das Pferd dachte nicht daran, sich den Befehlen des Reiters zu beugen. Daran gewohnt, Tag für Tag und Jahr für Jahr immer den gleichen Weg durch das Dorf zu gehen, tat es dies auch am Pfingstsonntag, ohne dass der Reiter den Platz des Wettkampfes erreichte.


Zur Hofgeschichte

Äußerlich verrät heute nichts mehr, dass diesem ehemaligen Bauernhof eine sehr besondere Geschichte anhaftet. Lediglich ein mittelalterliches Kellergewölbe lässt noch erahnen, dass dieses Grundstück auf eine außergewöhnliche Geschichte verweisen kann. Befand sich an dieser Stelle doch von 1450 bis 1681 ein adeliges Gutshaus und von 1681 bis 1763 ein königliches Vorwerk. Doch der Reihe nach.

Als das Dorf Wittbrietzen ab 1170 durch niederländische und (nieder-)sächsische Siedler gegründet wurde, bestand die damalige bebaute Ortslage lediglich aus dem Dorfanger um die Kirche herum. Dieses Grundstück lag entweder am Rande bzw. bereits außerhalb des eigentlichen Dorfes. Anfänglich bestand das Dorf lediglich aus etwa 20 Hofstellen. Zwischen 1412 und 1433 wurde sowohl Wittbrietzen als auch sein unmittelbares Nachbardorf Fiksdorf weitgehend zerstört, vermutlich bei einer Raubritterfehde. Während das Kirchdorf Wittbrietzen wieder aufgebaut und besiedelt wurde, fiel Fiksdorf wüst und die dazugehörigen Ackerflächen blieben brach liegen.

Wittbrietzen zwischen 1622 und 1681 (Zeichnung C.L.Knopff, um 1880)

Diese brachliegenden Ackerflächen bildeten die ökonomische Basis dafür, dass sich hier um 1450 ein adeliges Rittergut (auch Edelhof genannt) derer von Schlieben etablieren konnte. Und deren Gutshof entstand genau an dieser Stelle, am Rand des damaligen Wittbrietzen. Bereits 1517 verkaufte Adam von Schlieben sein Gut an die Brüder Georg und Dietrich von Flans, damals hochrangige Amtsinhaber beim Kurfürsten Joachim I. Bereits wenige Jahre später teilten die beiden Brüder das Rittergut zur Versorgung ihrer Kinder auf. Während Georg das vormalige Schlieben‘sche Gutshaus bezog, erbaute sich Dietrich ein weiteres Gutshaus neben der Kirche. So wurde der gesamte Bereich zwischen Pfarrhaus und diesem Grundstück zu einem Gutskomplex, mit Scheunen, Ställen, einem Backhaus, einer Schäferei und mehreren Wohnhäusern für Bedienstete des Gutes.

Kirche und Gutshäuser von Wittbrietzen auf einer Miniaturzeichnung aus dem Jahre 1705

Während sich beide Güter im 16. Jahrhundert sehr prosperierend entwickelten, kam es im 17. Jahrhundert zum wirtschaftlichen Niedergang und zur massiven Verschuldung; die Verwüstungen des 30jährigen Krieges hatten daran einen maßgeblichen Anteil. Daher sahen sich die Besitzer beider Güter 1680 bzw. 1681 gezwungen, ihren Besitz an den Großen Kurfürsten zu verkaufen. Aus den beiden adeligen Edelhöfen wurde somit zunächst ein kurfürstliches Vorwerk bzw. ab 1701 eine königliche Domäne, bewirtschaftet von jeweiligen Pächtern. Während das Gutshaus an der Kirche bis 1867 eine Weiternutzung als Pfarrhaus fand, verblieb das hiesige Gutshaus bis 1763 als Wohnhaus für die jeweiligen Pächter. Dem ehemaligen Pfarrer und Maler C.L.Knopff verdanken wir einen bildlichen Eindruck vom Aussehen beider Gutshäuser. Im Grunde waren es lediglich etwas größere Fachwerkhäuser als die der damaligen Bauern.

Das Gutshaus an hiesiger Stelle („auf dem Kietz“) und das Gutshaus an der Kirche

Auf Grund dokumentierter historischer Quellen lässt sich das Areal des Gutshauses „auf dem Kietz“ (also an hiesiger Stelle) gut rekonstruieren; selbst die Größe der einzelnen Gebäude sowie deren taxierter Wert findet sich in den Unterlagen. (Vom Gutshaus an der Kirche ist auf dieser Skizze nur eine Scheune eingezeichnet).

Im Jahre 1763 hatte das königliche Vorwerk folgenden Viehbestand:

  • 10 Pferde und 2 Fohlen
  • 10 Pferde und 2 Fohlen
  • 25 Ochsen und 1 Bullen
  • 26 Kühe
  • 13 Jungrinder
  • 800 Schafe incl. Hammel
  • 39 Schweine

Im gleichen Jahr – in Preußen herrschte mit König Friedrich II. der sogenannte Alte Fritz – endete der Siebenjährige Krieg. In der Folge musste für viele demobilisierte Soldaten eine wirtschaftliche Existenz geschaffen werden, zumal sehr viele getötete Soldaten zu beklagen waren und in Preußen große wirtschaftliche Not herrschte. Vor diesem Hintergrund ließ der König viele seiner Vorwerke und Domänen auflösen und mit Kolonisten besetzen. In Wittbrietzen wurden 1763 auf diese Weise 16 Neubauern angesiedelt. Jedem dieser Kolonisten wurden 2 Hufen Pachtland übereignet und ebenso wurde der gesamte Viehbestand des Vorwerkes auf die Neubauern verteilt. Außerdem bekamen sie kostenlos Bauholz, um sich Wohn- und Wirtschaftsgebäude errichten zu können. Durch Losentscheid hatte der Neubauer auf dieser Hofstelle das Glück, noch etliche Jahrzehnte das einst adelige Gutshaus bewohnen zu können.

Skizze zur Ansiedlung von 16 Neubauern 1763 in Wittbrietzen


Wie vorstehende Skizze erahnen lässt, führte die Ansetzung von 16 Kolonisten fast zu einer Verdoppelung der Einwohnerschaft von Wittbrietzen und zugleich zu vielen Konflikten zwischen der Altbauern- und Neubauerngemeinde. Auf Grund der besonderen Ansiedlungsbestimmungen waren die Neubauern in mancher Hinsicht rechtlich bessergestellt als die Altbauern. Dennoch fanden sich ungeeignete Bauern unter diesen, so dass schon wenige Jahre nach 1663 vier bis fünf Neubauern ihrer Höfe verwiesen wurden, weil sie selbst eine ermäßigte Pacht nicht bezahlen konnten. Unter diesen war auf der Hofstelle 1 auch Neubauer Johann George Leps, der erste bäuerliche Bewohner des ehemaligen Gutshauses.

Allerdings konnte dessen Schwiegersohn Andreas Schulze den Hof übernehmen. Seit etwa 1782 bewirtschaftete bereits dessen Schwiegersohn Hans Michael Richter aus Kemnitz bis 1815 den Hof, der dann über vier Generationen und bis 1925 im Besitz der Familie Richter blieb. 1846 starb Carl Friedrich Richter an Nervenfieber, so dass dessen Witwe den Hof mit ihren minderjährigen Kindern allein führen musste. Als deren Kinder volljährig wurden, ließ sie 1854 den Hof für zwei ihrer Kinder teilen. In diesem Zusammenhang wurde das alte Gutshaus zurückgebaut, um mit den gewonnenen Baumaterialen ein zweites Wohnhaus bauen zu können (heute das Nachbarhaus Dorfstraße 9).

Im Jahr 1925 übergab Johann Friedrich Richter den Hof an seinen an Kindesstatt angenommenen Stiefsohn Emil Mehlis. Dieser wurde der letzte privat wirtschaftende Bauer auf diesem Hof. 1960 trat er gemeinsam mit seinem Schwiegersohn Christoph Fechner der LPG „Neues Leben Wittbrietzen“ bei. Damit begann die allmähliche Umwandlung einer bäuerlichen Wirtschaft in einen privaten Wohnhof, auch wenn es bis 1990 noch in bescheidenem Maße eine individuelle Viehhaltung gab.

Geschrieben von Detlef Fechner


Wohlduftendes Wittbrietzen

Im Sommer 2024 entwickelten einige Einwohner die Idee, etliche Vorgärten des Ortes sowohl pflanzlich als auch gestalterisch aufzuwerten. Dabei kristallisierten sich drei maßgebliche Zielstellungen heraus:

  • Eine partielle Neubepflanzung von Vorgärten mit Blumen und Sträuchern, die sowohl ästhetisch schön als auch pflegeleicht und resistenter gegen die Folgen des Klimawandels sind
  • die Schaffung von gemeinschaftsstiftenden Inseln der generations übergreifenden Kommunikation und Geselligkeit im öffentlichen Raum, maßgeblich durch den Bau einer Bank bzw. Sitzgruppe und
  • eine handwerklich-künstlerische Gestaltung mit Motiven und Artefakten des ehemaligen ländlichen Lebens, einschließlich kleiner Informationstafeln bzw. digitaler Verweise dazu.
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